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Was die stärkere Infektiosität der englischen Variante für Österreich bedeutet

Die in England zuerst festgestellte Coronavirus-Variante B.1.1.7 ist laut ersten Erkenntnissen zwischen vierzig und siebzig Prozent ansteckender. Das stellt die Behörden vor Probleme, die Fallzahlen in England stiegen seit 2. Dezember an – obwohl in den Hotspots im Süden des Landes anders als in Österreich keine Lockdown-Lockerungen zu Weihnachten vorgenommen haben und auch Reisebeschränkungen aufrecht erhalten wurden.

Die stärkere Infektiosität führt auch dazu, dass diese Variante von Covid-19 in einigen Regionen die Überhand gewinnt und schon Mitte Dezember den Großteil der genommenen Proben ausmachte – obwohl die Variante erst Ende September erstmals festgestellt wurde.

Um auch eine infektiösere Variante des Virus müssen die zwischenmenschlichen Kontakte soweit eingeschränkt werden, dass eine infizierte Person weniger als eine weigere Person ansteckt. Eine Berechnung zeigt: Österreichweit waren die Kontakteinschränkungen nur im April dafür ausreichend stark. Im optimistischsten Fall, in dem das Virus nur 40 Prozent infektiöser ist als bisher, hätte an 29 Tagen im April eine infizierte Person weniger als eine weitere Person angesteckt. Im schlimmsten Fall einer 70% höheren Infektionsrate – waren die Kontakteinschränkungen nur an drei Tagen ausreichend. An allen anderen Tagen wäre die Zahl der Infizierten gestiegen.

Nur an einigen Tagen im April hatten die Österreicher so wenig Kontakte, dass auch die englische Variante zurückgedrängt werden könnte

Diese Berechnung basiert auf der effektiven Reproduktionszahl, die von der AGES und der TU Graz wöchentlich berechnet wird und abschätzt, wie viele weitere Personen jede infizierte Person ansteckt. Auch zwischen den Bundesländern gibt es Unterschiede. In Wien hätten die Kontaktbeschränkungen nie ausgereicht, um die englische Variante auch im schlimmsten Fall (+70% Infektiosität) in Schach zu halten; in Oberösterreich und Salzburg waren sie an über 20 Pandemietagen stark genug. Um ein unkontrolliertes Wachstum zu verhindern, müssten diese Kontaktbeschränkungen wie in April und Mai jedoch weit länger aufrecht erhalten werden.

Diese Berechnung erlaubt auch eine Schätzung, wie sich die Zahl der Neuinfektionen bei gleichen Maßnahmen, aber einer infektiöseren Virusvariante, entwickelt hätte. Wären beispielsweise ab 1. Dezember alle Covid-19-Infizierten in Österreich plötzlich 40% oder 70% infektiöser gewesen, würde sich das folgende Bild ergeben.

Ausgehend von zwischen 3.000 und 4.000 täglichen Neuinfektionen in der Woche vor dem 1. Dezember, gab es im Dezember einen stetigen Rückgang der Fallzahlen – auf 1.000 bis 2.000 zu Weihnachten und Neujahr. Selbst die „weniger schlimme“, 40 Prozent infektiösere Variante hätte am 24. Dezember zu über 11.000 – und zu Neujahr über 17.000 – Neuinfektionen geführt. Wäre dieses Szenario eingetreten, wäre es wohl nicht ganz dazu gekommen. Die Weihnachtslockerungen wären wohl kurzfristig zurückgenommen worden – in England passierte das am 19. Dezember – für einige stark betroffene Regionen.

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Zur Methodik

Kann man die erhöhte Infektiosität wirklich auf die Reproduktionszahl aufschlagen?

Ja, auch Dr. Eric Feigl-Ding hat ähnliche Berechnungen auf seinem Twitter-Account geteilt.

Wie wurde die Modellrechnung für den Dezember vorgenommen?

Die AGES berechnet den R-Wert aus den Fällen der letzten 13 Tage, wobei die Infektiosität der Fälle mit einer Gamma-Verteilung geschätzt wird. Die Berechnung verwendet den umgekehrten Weg. Die Fälle der letzten 13 Tage im November werden mit der Gamma-Verteilung und dem R-Wert vom 1. Dezember multipliziert. Für den 2. Dezember wird die gleiche Rechnung mit den Werten der letzten 12 Tage im November und dem soeben berechneten Wert für den 1. Dezember wiederholt, und so weiter.

Ist der R-Wert der AGES nicht in Wahrheit ein Wertebereich?

Ja, es wurde mit dem Punktschätzer gearbeitet, obwohl der Konfidenzintervall bei einigen Bundesländern in der Tat einige Zeit lang relativ breit war – besonders in der Zeit, in der es absolut gesehen recht wenige Fälle gab.

Wurde beachtet, dass es schon im Dezember B.1.1.7-Fälle in Österreich gab?

Nein, der tatsächliche geschätzte R-Wert wurde um 40% bzw. 70% erhöht. Dass in nur 4 von 500 seit September sequenzierten Proben die englische Variante gefunden wurde, obwohl gezielt danach gesucht wurde, spricht nicht dafür, dass sich die Variante schon stark auf die Verbreitung ausgewirkt hätte.

Welches der gezeigten Szenarien ist realistischer – vierzig oder siebzig Prozent infektiöser?

Erste Analysen aus dem Contact Tracing in England deuten auf die vierzig Prozent hin.

Gibt es Probleme bei der Berechnung der Reproduktionszahl?

Zumindest eine Statistikerin hat die Art der Berechnung und Kommunikation der Reproduktionszahl durch die AGES kritisiert. Da die Zahl aus den Neuinfektionswerten der letzten dreizehn Tage berechnet wird, haben Kontakteinschränkungen, die nur wenige Tage dauern, weniger Einfluss auf die Reproduktionszahl. In Deutschland wird mit 4- und 7-Tages-Reproduktionszahlen gearbeitet, diese sind sensibler auf kurzfristige Veränderungen. Weiters kann nur mit den bekannten Fällen gearbeitet werden. Ist an manchen Tagen die Dunkelziffer höher oder die Testaktivität niedriger, hat das einen Einfluss auf die Reproduktionszahl. Steigt die Dunkelziffer an, wird die Reproduktionszahl unterschätzt. Fällt die Dunkelziffer, wird sie überschätzt.

13.1.2021